Es brennt! Aufbruch von Vila de Conde

Es brennt wie seit Jahren nicht mehr. Der schöne Nationalpark ist futsch, oben im Nordosten – und der Caminho? Ist der in Gefahr? Die Deutschen buchen sofort um auf den Costa, der an der Küste entlang geht, denn da is ja Meer. Und Meer kann ja nich brennen, ist ihre naseweise Erklärung. Deutsche erklären im Allgemeinen und nicht selten gern wo es langgeht. Und dann ist es wahnsinnig wichtig, Rekorde aufzustellen.
Tipp: Frage in Touristik Büros, die es überall an der Küste gibt nach, ob es am Caminho brennt, wo und welche Ausweichmöglichkeiten es gibt. Die Leute sind durch die Feuerwehr auf dem aktuellsten Stand der Informationen.
Pilger Latein der Superlative




„Caminho in 7 Tagen“. Ach echt? Der andere meint, hat er schon in drei geschafft.. Ne! Erzähl das einem anderen Trottel! Ach mit dem e-Bike und dann doch n Stück mit dem Zug weil das Wetter so Scheiße??!! „Junge ich mach das Ding in 1,40 Stunden!“, sag ich. Totenstille. „Mit ‘ner Chessna! Du Gschichteldrucker!“. Genervt wechsle ich die Gesellschaft, die zwei Angeber gucken bedröppelt, wie ich den Tisch im Aufenthaltsraum demonstrativ wechsle. Ich versuche mich nun in meinem rostigen Französisch.
Die Franzosen gehen nicht auf den Caminho, aber kennen Portugal auch nicht ohne Waldbrände im August. Das sei völlig normal, meinen sie.
Die portugiesische Lehrerin findet die ganze Hysterie sowieso verrückt und bucht trotzig ihre Hiking Woche im Inferno. Das Touristik Büro hat leider schon zu.
So sitze ich nachdenklich vor meiner Pasta mit Meeresfrüchten, ein paar Straßen weiter. Was soll ich tun?
„Der Camino wird dir geben, was du brauchst“
Entscheidungen…




… trifft man am Ende ganz alleine. Meine Entscheidung ist gefallen. Ich werde weder meine Route verlegen, noch aufgeben. Feuer hin Feuer her. Im Restaurant höre ich von den Einheimischen,daß sich das Feuer von Ost nach West bewegt. Warum sollte ich dann auf den Camino Costal wechseln? Da kommt mir das Feuer ja entgegen?! Zudem: Tausende von Urlaubern und verunsicherte Pilger werden dort, die sowieso schon raren Herbergen und Hotels, überlaufen. Wenn ich aber also mit dem Wind, hinter den Waldbränden gehe – was soll passieren, ausser vielleicht dass der Wind sich dreht? Dann säße ich hübsch in der Falle.
Die erste Nacht und ein erstes Problem
Nach einer unruhigen Nacht, im Dreibett Zimmer mit der netten portugiesischen Lehrerin und einer sehr introvertierten, jungen Frau, mit unendlich traurigem Blick, entscheide ich mich.
Ich gehe. Mein nächster Halt wird Sao Pedro de Rates sein. Kurz checke ich meinen Reiseführer und beginne mich, leise im Bad umzuziehen. Die junge Melancholische liegt noch im Bett und tut das, was sie schon die ganze Nacht tat. Sie knirscht mit den Zähnen. Dieses fiese Geräusch werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Was die junge Frau so belastet, daß sie Nachts so unbewusst die Zähne zusammenbeisst bis es knirscht, werde ich nie erfahren. Oft sehe ich sie noch auf dem Weg. Auch in Santiago begegne ich ihr wieder. Aber ihre Traurigkeit im Gesicht ist nie gewichen.
Die Portugiesin sitzt schon unten im Frühstücksraum und drischt auf ihr Tablet ein. Wir setzen uns kurz raus auf die Tische an der Straße und ich erkläre ihr, daß ich weitergehen werde. Sie bemerkt, daß ich humple. Über Nacht hat sich auf dem rechten Fussballen eine ca. zwei Euromünze große Blase gebildet. Die tut höllisch weh. Ich habe sie mit einem Silikon-Pflaster überklebt.
Silikon Pflaster – Hölle auf Erden
In der Hoffnung, daß dieses Pflaster den Druck auf diese Blase etwas verringert, beim gehen, starte ich los. Aber nein. Es schmerzt. „Lächerlich!“, denke ich mir und zurre den Rucksack fest. „Du wirst Probleme bekommen!“ meint die Portugiesische Lehrerin kritisch und „gehe lieber gleich zu einem Arzt.“ „Lächerlich!“, denke ich wieder. „Wegen einer blöden Blase zu einem Arzt? Da lachen ja die Hühner!“. Sie umarmt mich ungelenk, wie eine alte Freundin und meint „Der Camino wird dir geben, was du brauchst! Bom Caminho.“




Ich gehe los, an den antiken Wasser Viadukten vorbei und versuche meine Schmerzen zu vergessen. Immer öfter benötige ich Pausen, bin froh, daß ich meinen Käse, etwas Brot und Oliven mithabe und setzte mich eben öfter mal hin um eine Kleinigkeit zu essen. Die Sonne nagelt erbarmungslos auf mich nieder. Selbst im Schatten wird es immer heisser.
Schritt für Schritt gehe ich immer weiter und freue mich, als ich endlich in die Vorstadt von Sao Pedro des Rates einlaufe. Da passiert es.
Sternchen vor Augen und ein „Engel“ in weiß




Diese blöde Blase platzt. Nein nicht einfach nur platzen – sie explodiert förmlich und ich sehe, im wahrsten Sinne des Wortes, Sternchen vor den Augen. Es geht gar nix mehr. Darum hocke ich mich mitten auf den Gehsteig in der Vorstadt, lehne mich an eine rostige Gartentüre und packe mein „First Aid“ Päckchen aus dem Rucksack.
Was soll ich tun? Gerade will ich das dämliche Pflaster runterreissen, da falle ich förmlich nach hinten, in einen Garten. Jemand hat hinter mir das Törchen geöffnet, an das ich mich gelehnt hatte. Im blendenden Gegenlicht sehe ich nur eine Gestalt, mit einem weißen Kittel. Der redet auf portugiesisch auf mich ein und ich vermute, er ist sauer, weil ich direkt vor seiner Gartenpforte kampiere, um mich zu verarzten.
Der Druckverband – einfach und wirkungsvoll
Ich erkläre ihm in Englisch, daß ich nur hier hocke, weil ich eine böse Blase verarzten will und dann gleich wieder weg bin. “ You do nothing! I am the Doc!“ ( Sie machen mal gar nix, ICH bin der Doktor, sollte das wohl heissen) Sprachlos schaue ich den älteren Herren an. Tatsächlich habe ich mich ausgerechnet an der Pforte seines Hauses hingehockt. Er ist seit einem Jahr eigentlich in Pension. Ohne auf meine „No Thanks, I’m really fine“ Einwände zu achten, schultert er meinen Arm und zieht mich mitsamt Rucksack in sein Haus. Dort bekomme ich einen professionellen Druckverband mit Wundauflage, viele Tipps und Verbandsmaterial. Umsonst. Einfach so. „Weil man Pilgern einfach hilft!“, meint er. Ich bin sprachlos und nah am Wasser gebaut, vor lauter Dankbarkeit.
Und tatsächlich – der neue Verband lässt mich auf Watte gehen und ich verabschiede mich von meinem Engel in Weiss, nicht ohne mich tausendmal in sämtlich, mir bekannten Sprachen zu bedanken!
Tipp: Verwende einfache Baumwollauflagen und Pflaster Tapes bei Blasen. Wenn du die Blase aufstichst, dann bitte verwende Jodtinktur, wie Betasoin, und achte auf peinliche Sauberkeit. Nachts den Verband abnehmen, damit die Wunde Luft bekommt. So heilt sie schneller. Morgens erneuern, damit die Wunde geschützt ist. Wundauflagen und Pflastertape bekommst du auch in Portugal, in der Apotheke. Im Zweifelsfall zum Arzt!
Plötzlich fällt mir der Spruch der portugiesischen Lehrerin ein.
“ Der Camino wird dir geben, was du brauchst.“
Arger Zufall oder doch Vorsehung? Man kann darüber wohl lange nachdenken. Jedenfalls erreiche ich die öffentliche Herberge und – bekomme auch noch ein Bett. Das letzte übrigens. Alle anderen Pilger, die nach mir eintreffen, kampieren auf dem Boden.
Der Camino gibt dir was du brauchst. Langsam glaube ich es auch.
Jakobsweg Teil 3 – Herbergsterror und eine kurze Nacht