Ein Mann kehrt Deutschland den Rücken
Mit dem Fahrrad nach Spanien Auswandern
Manche planen diesen Schritt sehr gründlich, wie wir schon gelesen haben.
Andere jedoch, haben das Vagabunden-Gen wohl wirklich für sich gebucht. Und so einen Fall von Auswanderern haben wir nun für Dich.

Da nimmt ein Mann ein Fahrrad, ein Bahnticket und etwas Geld, und fährt einfach nach Spanien. Und dort baut er sich aus dem Nichts ein Etwas, eine Existenz, einen Freundeskreis auf. Und auch mit der Liebe klappt’s.
Klingt fast wie aus einem Groschenroman aus den 60ern, der USA.
Nicht ganz so krass, aber beinahe, hat es Mike Lippoldt erlebt und auch in einem Buch niedergeschrieben. Diese Story ist für mich sowas von verrückt, dass sie auch wieder unglaublich gut ist. Darum habe ich Mike um ein Interview gebeten, damit er Dir ein wenig über seine aufregende Zeit, als Auswanderer, erzählt.
Interview mit Mike Lippoldt
Wieviel Glück hattest du?
Mike, wenn man Dein Buch so liest, ist man schon etwas skeptisch. Einfach so ungeplant und ohne Ziel das Weite suchen, wie du es vor Jahren gewagt hast, ist schon ziemlich abenteuerlich. Was würdest du im Rückblick sagen. Wieviel Glück hattest du bei der Sache?
Mike: Etwas Glück kann natürlich nicht schaden. Wenn man jedoch tatsächlich etwas ändern will, dann sollte man sich nicht auf sein Glück verlassen, sondern ihm auf die Sprünge helfen. Als ich bspw. nach meiner mehrmonatigen Odyssee abgebrannt am Strand von Marbella schlief, habe ich meinem Glück die Sporen gegeben, indem ich auf der Suche nach einem Job über 2 Wochen täglich unzählige Klinken putzte.
Am Ende stiess ich glücklicherweise auf einen Restaurantleiter, der mir die Nummer seiner Personalchefin gab und die mir dann half, im Lager der Restaurantkette einen Job zu bekommen. Und das, obwohl ich zu dem Zeitpunkt kaum ein Wort Spanisch sprach. Glück allein hätte mir wohl nicht weitergeholfen. Mit genug Willenskraft kann man seinem Glück jedoch ein gutes Stück weit entgegengehen.
Der Drang nach Reisen
Wie man in deinem Buch nachlesen kann, stammst du ursprünglich aus Ostdeutschland und hast die Wende mit 16 erlebt. Wie war es für Dich als Jugendlicher, mit so vielen neuen Freiheiten, wie z.B. Reisen? Glaubst Du, dass gerade Jugendliche aus dem Osten damals einen größeren Drang nach der großen weiten Welt hatten?
Mike: Mit Sicherheit hatten Menschen aus dem Osten einen grösseren Reisedrang als Menschen aus den alten Bundesländern. Die Zeiten damals waren jedoch ganz andere. Es gab noch kein Internet, kein WhatsApp oder Facebook und die Welt schien grösser und vor allem unentdeckter. Heute bekommt man über Facebook oder Instagram im Minutentakt Infos und Bilder aus aller Welt. Damals schien es für uns schon abenteuerlich, einfach mal Richtung Spanien aufzubrechen. Und als wir Anfang 20 die Chance sahen, machten wir das natürlich auch.
Was hat das Reisen mit dir als Mensch gemacht?
Was hat das Reisen mit deinem besten Kumpel durch Europa mit dir als Mensch gemacht? Glaubst du, dass du dich ohne deine Backpacker Zeit als Jugendlicher anders entwickelt hättest? Oder, würdest du Jugendlichen raten, ein Jahr off zu nehmen und zu reisen?
Mike: Ich denke, dass Reisen die Menschen positiv beeinflusst. Und Jugendliche, die mit sehr geringen Ressourcen als Backpacker durch die Welt reisen, erleben fremde Kulturen, Land und Leute natürlich intensiver als Pauschaltouristen, die ihren Urlaub bspw. 14 Tage auf einem Kreuzfahrtschiff verbringen oder 2 Wochen in einem Strandhotel all inklusive.
Jugendlichen würde ich auf alle Fälle raten, sich ein Jahr off zu nehmen und die Welt zu erkunden. Viele machen das ja auch. Und heute sind die Möglichkeiten selbst für Low-Budget-Reisende wie eben Studenten riesig. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wäre ich heute nicht hier, wenn ich nicht bereits als Jugendlicher oft und viel gereist wäre.
Hattest du einen Plan?
Du wusstest offensichtlich schon sehr früh, wie dein Leben in Zukunft NICHT aussehen soll. Hast du aber irgendwie einen Plan gehabt, was du im Leben WILLST?
Mike: Das ist zugegebenermassen einer meiner Schwachpunkte. Seit meiner Jugend wusste ich stets was ich NICHT will. Aber oft wusste ich nicht, WAS ich eigentlich will. Was ich wirklich will, hat sich erst mit der Zeit herauskristallisiert. Wenn jemand, so wie ich damals, unschlüssig ist über das was er will, dann sollte er sich einfach auf die Socken machen und herausfinden, WAS für ihn persönlich am lebenswertesten erscheint. Auch in dieser Beziehung gilt, dass man seinem Glück die Sporen geben muss.
Mit Ende 20 zum zweiten Mal mit dem Fahrrad auf grosser Tour
Du bist also mit Ende 20 auf einem ausgerüsteten Reiserad über Frankreich einfach Richtung Spanien, Portugal und dann an der spanischen Costa gelandet. War das nicht irgendwann auch mal gefährlich?
Mike: Wer mein Buch liest wird erfahren, dass ich, als ich Deutschland endgültig Richtung Spanien verliess, ja nicht einfach so losgefahren bin.
Denn mit Anfang zwanzig war ich mit einem Kumpel bereits über 8 Monate und mit sehr geringen Ressourcen mit dem Fahrrad in Europa unterwegs. Damals bereisten wir Spanien, Frankreich, England, Belgien und Holland und schliefen draussen.
Später trampte ich oft Wochen- oder monatelang allein durch Europa, wo ich ebenfalls unter freiem Himmel nächtigte. Und schliesslich war ich während meiner mehrmonatigen Indien-, Nepaltour um die Jahrtausendwende zumindest die erste Zeit ebenfalls allein unterwegs.
Am gefährlichsten ist die Welt, wenn man sie vom Fernsehsessel aus betrachtet. Ist man aber einmal unterwegs, dann sieht alles ganz anders aus. Nichts ist gefährlicher als der schleichende Tod durch Langeweile. Also lieber mal etwas wagen.




Was würdest du anderen raten?
Würdest du anderen raten, solch ein Abenteuer zu unternehmen, oder denkst du eher, dass es im Nachhinein gesehen schon etwas riskant war?
Mike: Ich bin schon ein Sonderfall. Es ist nicht jedermanns Sache und wohl auch nicht mehr zeitgemäss, so zu reisen, wie ich es damals tat. Trotzdem empfehle ich jedem, der Lust dazu hat, es einmal zu probieren.
Hierzu mal eine kleine Geschichte:
Als ich Anfang 20 mit meinem Kumpel 8 Monate durch Europa reiste, wurden wir in einer Stadt in Südfrankreich von der Strasse weg in das Haus eines Röntgenarztes eingeladen. Dort campten wir dann 2 Wochen bei ihm im Garten. Wenn er mittags aus dem Krankenhaus kam, assen wir mit ihm, seiner Frau und seinen 4 Jungen (zwischen 5 bis 16 Jahre) gemeinsam Mittag. Auch so unternahmen wir einiges gemeinsam.
Denis (so hiess der Arzt) hatte ein riesiges Haus mit Grundstück und wohl auch genug Geld. Trotzdem trampte er gemeinsam mit dem grössten seiner Söhne für eine Woche nach Spanien, weil er wollte, dass sein Kind auch solche Sachen mal erlebt hat. Einmal sagte er mir auch, dass er uns deswegen zu sich einlud, damit seine Jungs uns besser kennenlernen können. Mein Kumpel, mit dem ich bei der Familie war, kehrte später übrigens dorthin zurück und arbeitete eine Zeit dort als männliches „Kindermädchen“.
Wie gut sind deine Spanisch Kenntnisse jetzt nach all den Jahren in Spanien?
Mike: Mein Spanisch ist nach all den Jahren natürlich sehr gut. Liegt wohl auch daran, dass ich mit einer Spanierin zusammenlebe. Mein deutscher Akzent ist jedoch geblieben.
Sollte man im Vorfeld Spanisch lernen?
Später schreibst du, dass es auf alle Fälle besser ist, ein wenig Spanisch im Vorfeld zu lernen. Hast du da Tipps, wie das recht flott und intensiv gehen kann?
Mike: Eine Sprache lernt man immer am besten, wenn man sich in dem Land aufhält, wo diese Sprache gesprochen wird. Ich war nie in einer Sprachschule. Die Sprache lernte ich im direkten Umgang mit den Menschen. Hierfür trug ich anfangs stets ein kleines Taschenwörterbuch mit mir herum, in dem ich mir auch Sachen notierte. Abends dann setzte ich mich eine halbe bis eine Stunde hin und konjugierte Verben.
Wer eine Sprache im Vorfeld lernen möchte, sollte sich am besten einen ganz einfachen Spanisch-Kurs kaufen und jeden Tag schriftlich üben. Denn was man einmal selbst geschrieben hat, das vergisst man weniger schnell, als solches, das man nur mal ausgesprochen hat.
Mit was kannst du dich nicht anfreunden?




Du lebst nun schon lange an der Costa del Sol. Da wo andere Urlaub machen. Bist du glücklich? Und gibt es etwas, mit dem du dich bis heute nicht anfreunden kannst?
Mike: Natürlich gibt es immer Dinge, die einen gegen den Strich gehen. In Spanien und vor allem in Südspanien ist es mit dem Bewusstsein für Umweltschutz oft nicht weit her.
So gibt es in Spanien kein Pfandsystem und ich kenne Gemeinden, die ihre Gülle auch heute noch ins Meer leiten. Grund zum meckern gibt es auch hier genug. Trotzdem konzentriere ich mich auf die positiven Dinge. Denn auf der anderen Seite gibt es auch unzählige Naturschutzgebiete. Viele davon direkt vor der Haustür. Hier kann man prima Wandern und die Natur erleben. 5 Minuten vor meiner Wohnung liegt der Strand. Einen Kilometer dahinter beginnt bereits der Naturpark der Montes de Málaga (Berge von Málaga). In Andalusien scheint an über 300 Tagen im Jahr die Sonne.
Dank des sonnigen Klimas spielt sich das Leben in Südspanien vor allem draussen ab. Die Menschen sind herzlich, weltoffen, feierfreudig und haben ein sonniges Gemüt. Momentan kann ich mir keinen schöneren Ort zum Leben vorstellen. Und wie es sich mit dem Glück verhält, klärten wir ja bereits etwas weiter oben.
Was würdest du heute anders machen?
Würdest du deinen Weg nochmal so gehen, wie du ihn begangen hast, oder besser gefragt, was würdest du anders machen?
Mike: Als ich losmachte, steckte das Internet noch in den Kinderschuhen. Wenn ich heute noch einmal so losziehen würde wie damals, dann würde ich natürlich als erstes ein Blog starten. Heute lebe ich von meinen Webseiten. Über ein eigenes Blog wie meine Outdoor-Seite ousuca kann man prima mit anderen seine Erfahrungen teilen. Und ganz nebenbei verdient man noch etwas Geld, von dem man wiederum seine Reisen bezahlen kann.
Abgesehen von der Sache mit dem Internet würde ich wohl alles so machen wie gehabt. Wenn man immer nur das macht, was man schon immer gemacht hat, dann wird man immer bleiben, was man schon immer war. Will man aber wirklich etwas anderes machen im Leben, dann muss man unbekannte Wege gehen und auch mal was riskieren. Ich bin froh, meinen Weg bis hierher genauso gegangen zu sein.
Mike, ich danke Dir für dieses Interview.




Kurzinfo über Mike Lippoldt




Mike Lippoldt wanderte vor über 15 Jahren auf unkonventionelle Weise nach Spanien aus.
Über die Reise und seine Erfahrungen schrieb er ein Buch. Heute lebt er als freier Autor und Blogger am südspanischen Mittelmeer. Auf der Outdoor-Seite ousuca schreibt er über die Themen Outdoor, Survival und Camping.
Alle Bildrechte obliegen ausnahmslos © Mike Lippoldt.
Wow, sehr coole Geschichte!
Solche Erlebnisse sind einfach unbezahlbar und ich liebe es total, auf Reisen immer wieder so inspirierende Menschen kennenzulernen 🙂
Wir starten im Februar unsere Weltreise – und haben noch keinen Plan, wohin es uns ziehen wird. Da ich momentan auf dem Jakobsweg unterwegs bin und Spanien generell liebe… Wer weiß?!
Schöne Grüße,
Caro
Liebe Caro,
Es freut uns, dass Dir das Interview mit Mike so gefallen hat und bedanken uns für Deinen netten Kommentar. Wenn du gerade auf dem Jakobsweg bist, wirst du die nächsten Tage sicher viel gehen. Am Freitag starten wir unser Blast of the Past. Ein Jahr LSLB-Magazin. Unser erster großer Bericht war – stell dir vor, wie witzig, der Jakobsweg. Am Freitag re-starten wir unsere achtteilige Serie von 2016 nochmal. Da findest du vielleicht einige Parallelen.
Du bist herzlich eingeladen, bei uns über DEINEN Weg zu schreiben. Dafür schicke einfach deine Kontaktdaten an office@lifestyleluxurybrigade. Gerne publizieren wir Deine Geschichte, wenn du magst. „buen camino!“ und „Ultreïa!“ Die Redaktion