Zurück in die „Zivilisation“

Als ich so den Zug vorbeifahren sehe, nehme ich eine erste Tablette. Über Nacht hat sich etwas in meinem Hals zusammengebraut. Auch die Ohren schmerzen und gehen ständig zu. Der Jakobsweg führt nun direkt an der N550, einer stark befahrenen Strasse entlang. Oft gehe ich hinter den Leitschienen im Gestrüpp, denn die riesigen Trucker, die da vorbei donnern, machen mir etwas Angst.




Durch den lädierten Hals empfinde ich diese Autoabgase extrem ätzend und ich binde mir ein Halstuch um Mund und Nase. So gehe ich, vermummt mit Hut Sonnenbrille und Halstuch, wie ein Buschdieb, durch die Gegend. Einige Autofahrer finden das witzig und machen sogar Fotos von mir. Aber es gelingt Ihnen nicht ohne meinen Stinkefinger!
Teilweise kommen aber wieder schönere Abschnitte und ich verweile an einem weiteren Friedhof mit seinen krummen und schiefen Gräbern. Irgendwie ist mir auch zum Sterben zumute, und ich beneide die Toten beinahe, um ihren friedlichen Platz und die tolle Aussicht.




Die Strecke steigt jetzt stetig an und an mir ziehen einige Pilger vorüber, die ich aber nicht kenne. Den letzten Weg gehe ich alleine. Irgendwo mache ich halt und esse einen Thunfischsalat, dann schlepp ich mich weiter.
Die letzten Kilometer ziehen sich
Die Autobahn kündigt die Nähe zur Stadt schon an und ich laufe schon unter Autobahnbrücken durch und es wird immer städtischer. Ich bin schon in der Vorstadt von Santiago de Compostela, doch der Weg zieht sich dahin, wie eine letze Prüfung.
Zum Schluss gibt es zwei Pfeile nach Compostela.einen links und einen rechts. Ich erwische natürlich den längeren Weg und marschiere im großen Bogen in die Stadt. Langsam werden die Gebäude immer älter, ich gehe durch immer enger werdende Gassen und lasse mich zum Schluss von den Menschenmassen einfach mitreissen.
Menschenmassen in Santiago
Und tatsächlich. Die „Invasion“ bringt mich direkt auf den Platz vor der Kathedrale. Ich hab‘s geschafft. Verdammte Schei..e ich hab den Jakobsweg gepackt. Ich mach‘s wie viele andere Pilger und hau mich mit Sack und Pack auf den Platz und sitze da und schau die Kathedrale einfach nur an. Links davon winkt schon das Parador.
Fünf Sterne Tempel – meine Belohnung




Das älteste Hotel der Welt. Ein wenig bleibe ich noch sitzen, mache die ersten Fotos, stell die natürlich sofort mal in Facebook und dann gehe ich weiter schnurstracks auf das Hotel Paradore Catholicos zu. Es haut mich, versehentlich, ganz zum Schluss meiner Pilgerreise auf die Knie. Verflixt. Das linke Knie ist aufgeschlagen und blutet. Wurscht, gleich hab ich’s geschafft. Der Türsteher stellt sich mir unfreundlich in den Weg und fragt mich etwas und ich sage „English please“ . Er fragt mich barsch, ob ich hier wohne. Und ich werde etwas böse. „Nein aber gleich!!“. erwidere ich patzig und latsche selbstbewusst an ihm vorbei.
An der Rezeption würdigt man mich keines Blickes. Das Blut vom Knie tropft auf den Steinboden. „Ich brauche ein Pflaster!“ sage ich der Rezeptionistin.
Die zeigt unwirsch in Richtung Ausgang und meint nur – 200 Meter links ist eine Apotheke.
„Melden sie mich bitte bei Ihrem Pressevertreter. Ich habe heute ein Interview Termin bei ihm und das hier ist meine Reservierung!!“. Langsam werde ich wirklich sauer. Ich knalle ihr den Buchungsauszug auf den edlen Tresen, dass es nur so klatscht.
Jetzt erst dämmert es ihr, und es kommt Bewegung in die Dame. Komplett erschrocken ruft sie einen Hausdiener, der sofort los eilt und Verbandszeug holt. Mein Rucksack ist verschwunden, ich werde verarztet und auf mein Zimmer gebracht, wo schon mein Gepäck wartet. Der Page erklärt mir das Zimmer und fragt, mich, ob er mir ein Bad einlassen soll und ob es mir eh gut geht.
Traurig, oder? Ich hätte gerne gewusst, wie man mich behandelt hätte, wenn ich nicht von der Presse wäre. Das Parador hat mich zumindest im Welcome Bereich komplett enttäuscht. Auch das Zimmer ist so lala. Für den Preis nix besonderes. Aber nachdem ich hier einen Sonderpreis zahle, und sowieso Herbergen gewohnt bin, zucke ich nur mit den Achseln und schmeiss mich ins Schaumbad.
Der belagerte Heilige




Einmal in Santiago angekommen, ist man nach einer Nacht und einem Tag irgendwie erschlagen. Gerade im August erinnert die Stadt, an eine Invasion Heuschrecken in einem Kornfeld. Gerade hat man sich an das beschauliche Leben gewohnt, bekommt man hier einen Kulturschock. Überall sind Menschenschlangen. Das die Figur des Heiligen Jakobus noch nicht völlig abgetragen ist wundert mich.
Vor den Museen, vor einigen Restaurants, vor den Souvenirläden. Massen an Menschen. Nach meinem Umzug aus dem noblen Parador ins Hotel Universal, buche ich eine Busreise nach Finistere. Ich habe noch einen Tag Zeit. Leider zu kurz für eine weitere Etappe an das Ende der Welt.
Das Ende der alten Welt – Finisterre und Muxia
Die spanische Reiseführerin erklärt viel in ihrer Muttersprache und ca 10% davon wird ins englische übersetzt. Mittlerweile habe ich mich aber in die Sprache hineingehört und bin erstaunt wieviel ich schon verstehe.
Um neun Uhr morgens geht es los, entlang der Costa da Morte. Der erste Halt ist in Muros, ein altes Fischerdorf und Hafen. Von dort aus geht es weiter nach Ézaro ganz im Süden. Dort befindet sich auch einer der sieben einzigartigen Wasserfälle in Europa, Flüsse, die sich theatralisch in den Ozean stürzen. Danach geht es zum Kap Finisterre, der Südspitze einer kleinen Halbinsel aus Granitgestein. Ich befinde mich am Ende der alten Welt, wo sich der örtliche Leuchtturm auf der Spitze des Monte Facho befindet.
Ich genieße den Blick hinaus aufs Meer und erst jetzt empfinde ich meine Reise als beendet. Das ganze religiöse Brimborium in Santiago, war für mich jedenfalls noch nicht das Ende.
Die Kapelle von Muxía reisst mir allerdings nicht wirklich etwas raus. Ein letzter Abend mit der bunten Pilgertruppe und dann sitze ich auf der Stadtmauer von Santiago und ziehe Resümee. Was hat mir der Camino gebracht?
Mein Resümee
- Ich habe meine Reserven entdeckt und weiß nun, daß viel mehr geht, als ich dachte. Einschätzungen Anderer, über meine Ressourcen, sind relativ.
- Neue Menschen kennenlernen ist interessant, und ich sollte das zu Hause wieder verstärken.
- Ich vermisse meinen Partner, meine Katzen und mein schönes Zuhause.
- Wenn auch viele meckern, wie schlecht es uns angeblich in Europa geht – geht mir das links rein und rechts wieder raus. Nach diesen minimalistischen Lebensstil ist mein sonstiges Leben ein Luxusleben.
- Die Portugiesen werden mir als eines der introvertiertesten, aber auch hilfsbereitesten und gastfreundlichsten Völker in Erinnerung bleiben.
- Und ein letzter Punkt. Österreich hat so viele schöne, Wanderwege, herrliche Berge, grüne Wälder und blaue Flüsse. Warum sollte ich noch einmal auf mühsamen Pflastersteinen wandern, vor überfüllten Herbergen warten oder an Schnellstraßen entlanggehen? Es ist diese geheimnisvolle Kraft, die diesen Jakobsweg ausmacht. „Der Camino gibt dir, was du brauchst.“ Ich habe Kraft getankt.
Für mich war dieser Jakobsweg der erste. In einer Jahreszeit, die furchtbar überlaufen ist. Der nächste findet, wenn ich nochmal gehe, Anfang September statt. Da wo es wieder stiller wird.
Nachtrag. Es ist das Jahr 2020. Ich hatte den Camino del Norte geplant. Wegen Corona musste ich ihn aber leider absagen. 2021 begebe ich mich erneut auf den Weg.